Susanne Hasenhüttl und Katharina Muner-Sammer (ÖGUT)

Haben Sie schon darüber nachgedacht, was die Finanzwirtschaft mit Nachhaltigkeit zu tun hat? In der ÖGUT beschäftigt uns diese Frage schon seit 2001 – und die Antwort darauf nach so vielen Jahren Arbeit an diesem Thema lautet: sehr viel – mehr, als die meisten Menschen denken.

Das Thema hat viele Facetten und z.B. für die Energiewende und die Erreichung der Pariser Klimaziele liegt schon lange klar auf der Hand: es muss mehr Geld in nachhaltige Projekte fließen. Auch die Europäische Kommission sieht das so: bis 2030 sind zusätzliche Investitionen von 260 Milliarden Euro pro Jahr notwendig. Ist das in der Finanzwirtschaft schon angekommen, gibt es bereits Nachhaltigkeitsinitiativen in der Finanzwirtschaft? Was sind die aktuellen Entwicklungen? Wo besteht noch Handlungsbedarf?

Die ÖGUT bietet seit 2001 Orientierung, Interpretation, Überblick und inhaltliche Kompetenz zum Thema „Nachhaltigkeit im Finanzsektor“. Dies als Non-Profit Organisation – glaubwürdig und unabhängig. Das Angebot zum Thema umfasst Weiterbildungen, Nachhaltigkeitszertifizierungen von Finanzinstitutionen, Nachhaltigkeitsgutachten sowie die Möglichkeit von Investitionen in nachhaltige Klimaschutzprojekte durch Crowdinvesting. Susanne Hasenhüttl und Katharina Muner-Sammer, ÖGUT-Expertinnen im Bereich Grünes Investment, haben der ÖGUT-News-Redaktion im Gespräch einen Überblick über und Einblick in ihren Bereich geschaffen. Es ging um die zentrale Rolle des Themas, was unter nachhaltigen Investments zu verstehen ist, welche Ansätze und Kriterien es gibt, wo wir derzeit am Markt stehen, in welche Richtung sich der Markt zukünftig weiterentwickeln wird und welchen Beitrag die ÖGUT in diesem Bereich leisten kann.

Was ist nachhaltiges Investment überhaupt?

Wenn man in das Thema eintaucht, wird man schnell mit unterschiedlichen Begriffen konfrontiert. Susanne Hasenhüttl ist seit den Anfängen des Themas in Österreich dabei und hat bei der ÖGUT das Themenfeld aufgebaut. „Als wir angefangen haben, haben alle von „ethisch-ökologischen Geldanlagen“ gesprochen.“ Die ÖGUT verwendet heute die Begriffe „Nachhaltige Geldanlagen“ und „Nachhaltiges Investment“„Es geht bei nachhaltigen Geldanlagen darum, neben den ökonomischen Aspekten auch ökologische und soziale Komponenten sowie die gute Unternehmensführung (Governance) in den Investmententscheidungen zu berücksichtigen“, erklärt Katharina Muner-Sammer.

Wie designt man ein nachhaltiges Finanzprodukt?

Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen, um ein nachhaltiges Finanzprodukt (z.B. einen nachhaltigen Fonds) zu konzipieren. Üblicherweise werden als erster Schritt Ausschlusskriterien definiert, indem bestimmte nicht-nachhaltige Branchen von einem Investment ausgeschlossen werden. Dann ist es wichtig, Positivkriterien festzulegen, also in welche nachhaltigen Bereiche/Branchen soll investiert werden (z.B. Erneuerbare Energien). Ein anderer Ansatz nennt sich Best-in-Class. Dabei wird in die Besten einer Branche investiert. Wichtig ist es, verschiedene Ansätze miteinander zu kombinieren, um ein wirklich gutes Produkt auf den Markt zu bringen. Mittels „Engagement“ kann dann noch Einfluss auf Unternehmen in Richtung Nachhaltigkeit genommen werden. Nachhaltige Fonds von guter Qualität kombinieren die unterschiedlichen Ansätze in einem Fonds.

Wo stehen wird derzeit? – Meilensteine seit 2008

Insbesondere seit der Finanzkrise hat sich einiges bewegt, neue nachhaltige Finanzprodukte (z.B. nachhaltige Fonds, Green Bonds) kamen auf den Markt. Institutionelle Investoren (z.B. Banken, Versicherungen, Vorsorge-, Pensionskassen) haben diese verstärkt nachgefragt. Durch das Pariser Klimaschutzabkommen und die Ausrufung der UN-Nachhaltigkeitsziele 2015 ist Nachhaltiges Investment aus der Nische herausgetreten. Der EU-Aktionsplan und die damit einhergehenden Verordnungen bzw. gesetzlichen Verpflichtungen bedeuten, dass sich nun auch der Mainstream – abseits der Freiwilligkeit – mit dem Thema beschäftigen muss.

EU-Aktionsplan Sustainable Finance

2018 ist das Thema mit dem EU-Aktionsplan zur Finanzierung Nachhaltigen Wachstums bzw. „Sustainable Finance“ auf höchste EU-Ebene gerückt. Seitdem spricht man von „Sustainable oder Green Finance“. Der EU-Aktionsplan soll Finanzinstitutionen dazu bringen, sich stärker an Nachhaltigkeit auszurichten und sieht dafür im Kern ein Klassifikationssystem („Taxonomie“) vor, das Kriterien für nachhaltige wirtschaftliche Aktivitäten definiert. Außerdem enthält er weitere Verordnungen, die für die Finanzinstitutionen verpflichtend sein werden und z.T. noch final ausgearbeitet werden, weshalb es noch zu früh für eine Abschätzung der Auswirkungen „on the ground“ ist. Die Taxonomie definiert, welche wirtschaftlichen Aktivitäten als ökologisch gelten, daher ist im Grunde die gesamte Wirtschaft angesprochen. Ziel ist, Transparenz zu schaffen: „Man will verhindern, dass sich jede/r Nachhaltigkeit selbst definiert. Eine Schwäche der Taxonomie liegt aber sicher darin, dass sie nur für nachhaltige Finanzprodukte angewendet werden muss,“ so Katharina Muner-Sammer. Die ÖGUT hat gemeinsam mit anderen Organisationen Stellungnahmen zum EU-Aktionsplan verfasst und damit ihre Position klargemacht: nicht-nachhaltige Produkte muss man auch nicht hinsichtlich Nachhaltigkeit deklarieren und verursachen dadurch weniger Aufwand für die, die Produkte in den Markt bringen – das bedeutet eine Wettbewerbsnachteil für nachhaltige Produkte.

Banken müssen in Zukunft ihre Nachhaltigkeitsrisiken ausweisen und sich dadurch mit ihnen beschäftigen. Außerdem wird an einem EU-Ecolabel gearbeitet. „Es ist gut und wichtig, dass die EU das Thema aufgegriffen hat: Der Finanzmarkt kann ein sehr guter Hebel sein, um Geld in eine nachhaltige und damit klimafreundlichere Wirtschaft zu lenken“, sagt Susanne Hasenhüttl.

Green Finance Agenda Östereich

In Österreich wird in Zusammenarbeit des Klimaschutz- und des Finanzministeriums an der Umsetzung einer Green Finance Agenda gearbeitet, die das Thema auf nationaler Ebene vorantreiben soll. Dabei wurden bereits einige Initiativen ins Leben gerufen, wie zum Beispiel der Green Investment Hub mit dem Austrian Green Investment Pioneers Programm von klimaaktiv, der Klimaschutzinitiative des BMK, in Kooperation mit dem Umweltbundesamt, das auf die verstärkte Realisierung von konkreten grünen Projekten abzielt. Oder das Green Finance Förderprogramm des Klimafonds, das Unternehmen und Gemeinden/Städte dabei unterstützt, eine Wirtschaftlichkeitsberechnung für geplante Projekte durchzuführen und die Nebenkosten von Platzierungen am Finanzmarkt zu senken. Weitere Initiativen wie z.B. im Bereich Green Financial Literacy – den Wissensausbau zu Klimawandel und ökologischen Themen und deren Wechselwirkungen mit dem Finanzsektor werden erwartet.

Was die ÖGUT bewirkt – von fundierter Information bis Zertifizierung

Die Arbeitsschwerpunkte im Themenfeld sind: Information, Beratung, Zertifizierung und Vernetzung. Die ÖGUT bietet mittlerweile ein vielseitiges Dienstleistungsportfolio an, eine zentrale Dienstleistung ist die ÖGUT-Nachhaltigkeitszertifizierung, ein Prüfsystem für betriebliche Vorsorgekassen, Pensionskassen und Versicherungen. Damit prüft sie jährlich die Veranlagung dieser Institutionen. Zusätzlich erstellt die ÖGUT auch Nachhaltigkeitsgutachten für einzelne Finanzprodukte. Die ÖGUT-Zertifizierung ist an die Kriterien des Österreichischen Umweltzeichens angelehnt. Das Umweltzeichen des Klimaschutzministeriums besteht seit 2004 und ist damit das älteste Siegel in der EU für Finanzprodukte. Es gilt als Österreich-Standard bei Nachhaltigkeitskriterien in der Veranlagung.

„Gerade die betrieblichen Vorsorgekassen, die die Gelder der Arbeitnehmer*innen veranlagen, fragen – getrieben durch das jährliche Engagement im Rahmen der Prüfung – explizit Umweltzeichenfonds nach und stoßen dadurch sehr viel an. Die Fondsanbieter sehen die Vorsorgekassen als eine wichtige Kundschaft an.“ Was dies veranschaulicht, erklärt Susanne Hasenhüttl: „Labels bzw. Gütesiegel sind wichtig, um den Markt zu verändern. Mit ihnen kann man einen Standard setzen und weiter anheben, und genau das machen wir.“

Die ÖGUT bietet außerdem die „Weiterbildung Nachhaltige Geldanlagen“ für Finanzberater*innen an, die ihre Kund*innen seriös zu nachhaltigen Geldanlagen informieren wollen. „Die meisten Menschen wissen nicht, was es hier für Möglichkeiten gibt und dass man mit Geld viel bewegen kann“, so Katharina Muner-Sammer. Durch den Aktionsplan werden alle Finanzberater*innen in Zukunft dazu verpflichtet sein, das Thema Nachhaltigkeit aktiv im Beratungsgespräch anzusprechen. Die Weiterbildung wurde in einem internationalen Projekt mit dem deutschsprachigen Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) mit Sitz in Berlin entwickelt, das weiterhin ÖGUT-Partner ist.

Neues Terrain hat die ÖGUT gemeinsam mit der Energy Changes Projektentwicklungs GmbH betreten: die Crowdinvestingplattform Crowd4Climate hat einen speziellen Fokus auf Entwicklungsländer und ermöglicht damit Investments zur Finanzierung von Klimaschutz- und Klimawandel-Anpassungsprojekten durch Privatanleger*innen.

Die ÖGUT initiiert bzw. arbeitet immer wieder in Projekten auf nationaler wie auch bei EU-Projekten mit: „Solche Projekte sind wichtig, weil sie die nachhaltige Entwicklung am Finanzmarkt (und in der Realwirtschaft) weiterbringen und neue Impulse setzen,“ bringt es Katharina Muner-Sammer auf den Punkt.

Was die ÖGUT ausmacht, ist die langjährige Kompetenz in Verbindung mit einem starken Netzwerk – Mitlieder, Kooperationspartner und Interessierte sowie gute Kontakte zu öffentlichen Stellen und zu den wichtigen Akteuren am österreichischen Markt. „Die ÖGUT hat das Thema in Österreich mit Wegbegleitern wesentlich aufgebaut und entwickelt“, sagt Susanne Hasenhüttl.

Die Bilanz kann sich sehen lassen:

  • Seit 2016 lassen sich alle 8 betrieblichen Vorsorgekassen in Österreich jährlich von der ÖGUT zertifizieren, zusätzlich eine Versicherung. Das Gesamtvolumen der Vorsorgekassen liegt bei 14 Milliarden Euro, das entspricht rd. 50 % des Gesamtvolumens nachhaltiger Fonds und Mandate in Österreich (s. FNG Marktbericht)
  • 2020 haben 450 Berater*innen die Weiterbildung Nachhaltige Geldanlagen erfolgreich abgeschlossen, seit 2016 gibt es insgesamt rund 1 000 Absolvent*innen.

Faktencheck: wo wir gerade bei nachhaltigen Geldanlagen stehen

Der Marktbericht des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG) spiegelt den kontinuierlichen Wachstumstrend wider.

Das Gesamtvolumen nachhaltiger Fonds und Mandate hat sich seit 2017 verdoppelt. Zum 31.12.2019 belief es sich auf knapp 30 Milliarden Euro. Dies entspricht einem Anstieg von 39 % zum Vorjahreswert. Mit 15,9 % Anteil am Gesamtfondsmarkt haben sich nachhaltige Fonds und Mandate fest am österreichischen Finanzmarkt etabliert. In Österreich sind 63 % der nachhaltigen Fonds mit einem qualitativen Nachhaltigkeitssiegel zertifiziert, das sind insgesamt 71 der insgesamt 113 erfassten nachhaltigen Fonds. „Hier nimmt Österreich im deutschsprachigen Raum eine besondere Vorreiterrolle ein. Bei Alternativbanken gibt es in Deutschland ein größeres Angebot“, erklären die ÖGUT-Mitarbeiter*innen.

Sieht man sich jedoch das gesamte Finanzvermögen an, rechnet man also auch die Einlagen und die Anleihen dazu, kommt man auf einen Wert von nur 1,4 %. Es gibt also noch viel Luft nach oben.

„Natürlich gibt es noch Handlungsbedarf in der Finanzbranche, sich nachhaltiger auszurichten. Aber wir sehen, dass sich viele Finanzinstitutionen – nicht zuletzt durch den EU-Aktionsplan – verstärkt mit den Themen auseinandersetzen. Beispielsweise beschäftigen sich viele Banken aktuell mit dem Thema, wie nachhaltige Kredite aussehen könnten, das war bis vor kurzem kaum ein Thema“, ergänzt Katharina Muner-Sammer.

Die ÖGUT hat vor Kurzem damit gestartet, Banken dabei zu unterstützen, nachhaltige Kredite im Bestand zu identifizieren sowie taxonomiekonforme Kriterien für nachhaltige Kredite zu entwickeln und wird in Zukunft mehr Workshops zu dem Thema anbieten.

Ein wichtiges Learning aus dem Gespräch war, dass wir die Transformation der Finanzwirtschaft nicht von der Realwirtschaft abgekoppelt denken dürfen. „Investitionen/Veranlagungen können nur dorthin gehen, wo nachhaltig gewirtschaftet wird. Die Realwirtschaft muss sich daher Richtung Nachhaltigkeit bewegen, damit z.B. Vorsorgekassen in nachhaltige Unternehmen investieren können. Die Finanzbranche kann zur Nachhaltigen Entwicklung beitragen, aber insgesamt braucht es politische Rahmenbedingungen für die Realwirtschaft. Das Geld fließt dorthin.“, betonen die ÖGUT-Expert*innen unisono. Und gleichzeitig hat auch die Finanzwirtschaft die Verantwortung, die negativen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf Umwelt und Gesellschaft zu minimieren.

Blick in die Zukunft

Das neue Jahr 2021 bedeutet einen ersten Praxistest der aktuellen EU-Verordnungen (z.B. Offenlegungsverordnung, Taxonomieverordnung, …) für die Finanzwirtschaft und wird hier mehr Klarheit bringen. Welchen Beitrag die neuen Regulierungen für eine nachhaltige Entwicklung in der Finanz- und auch Realwirtschaft haben und inwieweit weitere Anpassungen notwendig sein werden, kann man danach besser abschätzen. Es geht auf alle Fälle in die richtige Richtung, denn der EU-Aktionsplan hat eine Dynamik ausgelöst.

Bei der ÖGUT steht 2021 unter anderem ein Fresh-Up Kurs bei der Weiterbildung Nachhaltige Geldanlagen mit Berücksichtigung aktueller Entwicklungen rund um den EU-Aktionsplan an. Banken werden weiterhin durch z.B. Workshops in der Umstellung sowie bei der Anpassungen an Regulatorien (z.B. Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken, Nachhaltige Kredite etc.) unterstützt.

Übrigens, auch Sie können nachhaltig veranlagen!

Jede*r kann gleich jetzt das eigene Geld nachhaltig veranlagen, mehr Infos dazu unter finden Sie unter http://www.gruenesgeld.at. Derzeit laufen auf www.crowd4climate.org drei Crowdinvesting-Kampagnen, die für PrivatanlegerInnen offenstehen.


Das Interview mit Katharina Muner-Sammer und Susanne Hasenhüttl wurde am 11. November 2020 durchgeführt, mit einem Follow-Up im Dezember.

Weiterführende Links:

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