von Astrid Reinprecht
Tetovo ist eine Stadt mit rund 60.000 EinwohnerInnen. Bekannt ist sie als Zentrum der albanischen Minderheit in Nordmazedonien. Zu unrühmlicher Bekanntheit kam die Stadt aber auch, weil sie bis 2017 die Stadt mit der höchsten Luftverschmutzung in Europa war.[1] Andere Städte in Südosteuropa waren und sind von den Werten Tetovos nicht weit entfernt.[2] Die wesentlichsten Gründe für die schlechte Luft in den Städten sind umweltschädliche Industrieproduktion, veraltete Heizsysteme (vor allem im Winter) und überbordender Verkehr.
Luftverschmutzung, illegale Mülldeponien, krebserregende Stoffe in den Abwässern, Bau von Autobahnen ohne Umweltprüfung, Raubbau an Rohstoffen in Naturschutzgebieten – die Liste von Vergehen an der Umwelt in Südosteuropa ist lang. Wie können BürgerInnen dagegen ankämpfen? Wie können sie Nachhaltigkeit auf die gesellschaftliche Agenda setzen? Diesen Fragen bin ich im Rahmen der Konferenz „Grassroots Action for Green Change“[3] in Tetovo, Nordmazedonien, nachgegangen. Das Muster, das sich mir zeigte, war, dass Partizipation in der Region vor allem als etwas verstanden wird, das in Konfrontation gegen öffentliche Autoritäten und privatwirtschaftliche AkteurInnen passiert.
Die beliebteste Art der Beteiligung ist demnach der Straßenprotest. Die zweithäufigste Beteiligungsstrategie ist der Gang zum Gericht. „Wenn man von der Regierung nicht als legitimer Akteur anerkannt wird, braucht man zuerst Sichtbarkeit. Du musst Leute auf die Straße bringen, du musst zeigen, dass dein Anliegen Gewicht hat. Sonst nimmt dich keiner ernst,“ argumentierte etwa Arianit Xhaferi, Gründer von Eco-Guerilla[4] – jener Organisation, die maßgeblich für eine Verbesserung der Luft in Tetovo kämpfte. Auch für Hans Hedrich, rumänischer Umweltaktivist aus Transsylvanien scheint Konfrontation die einzige Möglichkeit zu sein. Mit seiner Initiative „Neuer Weg“[5] engagiert er sich seit Jahren gegen den ungesetzlichen Abbau von Holz aus den Wäldern Transsylvaniens.
Trotzdem blieb nach den Diskussionen mit rund 30 Umwelt-AktivistInnen und SozialwissenschafterInnen aus Albanien, Bosnien, Bulgarien, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Rumänien die Frage, ob alternative Herangehensweisen möglich sind. Denn was geschieht, sobald Proteste zu Ende gehen oder der Rechtsweg ausgeschöpft ist? Gibt es in Südosteuropa Formen der kollaborativen Beteiligung? Gibt es Beteiligung, für die die öffentliche Hand Commitment zeigt, und an deren Ergebnissen sie Interesse zeigt? Können Konflikte nicht nur ausgetragen, sondern auch konstruktiv umgewandelt werden?
Kollaborative Beteiligung, die eine höchst mögliche Diversität an Stakeholdern aus Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zusammenbringt und zur konkreten Lösung von Problemen beiträgt, ist recht unbekannt. Weder Formate wie der BürgerInnenrat[6], noch Zukunftskonferenzen[7] oder Design Thinking[8], die helfen können, strategische oder auch konkrete Fragen anzugehen, werden verwendet. Einzig eine traditionelle Form der Mediation[9] ist in manchen albanisch-sprachigen Regionen noch üblich (alb. pajtim reconsiliation; ndermjetesim mediacion), wird dort aber bisher nur in Familienangelegenheiten verwendet.
Das ist schade. Besonders in zerstrittenen und kriegsgeschädigten Communitys bzw. in Ländern, wo die öffentliche Hand unfähig oder willens ist, konkrete Lösungen anzugehen, könnten Umweltprobleme, die unter Einbeziehung lokalen Wissens und Kapazitäten der BürgerInnen verändert werden, einen demokratischen Mehrwert bringen. Außerdem können dort, wo Betroffene unterschiedlicher Hintergründe zusammenkommen, die alle unter derselben Situation leiden (etwa: schlechter Luft), Potenziale der Zusammenarbeit und persönlichen Begegnung gehoben werden, die unter anderen Vorzeichen verdeckt geblieben wären.
Dass das funktionieren kann, zeigt „Go Green“[10] – eine NGO in Nordmazedonien. In einem Projekt zur Abfallwirtschaft haben sie gemeinschaftlich ein standardisiertes Jobprofil für Müllsammler ausgearbeitet, um den Beruf des Müllsammlers aus der Illegalität zu heben und ihnen ein besseres Einkommen zu ermöglichen. Als „Nebeneffekt“ wurden Vorurteile gegenüber Personen, die Müll sammeln (vorwiegend, aber nicht ausschließlich Angehörige der Roma-Minderheit), abgebaut, weil HausbewohnerInnen deren Arbeit schätzen lernten. So wurden mehrere Fliegen auf einmal geschlagen: es entstand Nutzen für die Umwelt und für das multikulturelle Zusammenleben.
Quellen:
- [1] https://www.theguardian.com/cities/datablog/2017/feb/13/most-polluted-cities-world-listed-region
- [2] https://balkaninsight.com/2018/12/18/winter-brings-curse-of-air-pollution-to-balkans-12-17-2018/
- [3] https://www.oegut.at/de/events/2019/09/grassroots-action-green-change.php
- [4] http://ecoguerilla.mk/
- [5] http://www.neuerweg.ro/
- [6] https://www.partizipation.at/buergerinnenrat.html
- [7] https://www.partizipation.at/zukunftskonferenz.html
- [8] https://hpi.de/en/school-of-design-thinking/design-thinking.html
- [9] https://www.partizipation.at/mediation.html
- [10] https://eeb.org/go-green1/