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von Lisa Purker
Ich bin im Waldviertel aufgewachsen – dort, wo das freistehende Einfamilienhaus Standard und alles andere nur 2. Wahl ist. Mein Vater ist Zimmermann und hat in der Verwandtschaft beim Bau unzähliger Häuser mitgeholfen. Ich habe erlebt, wie viel Mühe so ein Hausbau bedeutet und wie oft solche Häuser dann als „Scheidungswaisen“ oder als in die Jahre gekommene, zu große, nur zu einem Teil genutzte Wohnburgen rumstehen. Und ich habe mir geschworen: ich baue kein Haus.
Und nun tue ich es doch. Noch dazu mit rund 50 anderen Menschen. Wieso? Weil sich nun auch in Wien die Kultur des gemeinschaftlichen Bauens und Wohnens verstärkt entwickelt. Keine Frage, Projekte wie die Sargfabrik oder B.R.O.T. haben schon vor längerer Zeit den Boden dafür bereitet. Nun aber sind Idee und Praxis des gemeinschaftlichen Bauens bei vielen wichtigen Stellen – in der Stadtplanung, in der Immobilienentwicklung, bei Bauträgern – angekommen und aufgenommen worden. Baugruppen-Mainstreaming, sozusagen. Das zeigt zum Beispiel die Bereitstellung von Grundstücken explizit für Baugruppen, etwa in der Seestadt Aspern oder am Hauptbahnhof.
Als ich vor einigen Jahren mit dem Thema Baugruppen zum ersten Mal konfrontiert wurde, war meine erste Reaktion zugegebenermaßen seeehr zurückhaltend. Beteiligung – das mache ich beruflich in vielen Projekten. Ich will nicht, dass andere bei einem so persönlichen Thema wie MEINER Wohnung mitreden! Und doch, das Thema hat mich immer wieder eingeholt. Was mich schließlich am gemeinschaftlichen Bauen zu interessieren begann, sind seine nachhaltigen Aspekte. Erfahrungen zeigen, dass in den allermeisten Projekten nach hohen ökologischen Standards gebaut und auf Energieeffizienz und Energieeinsparung großer Wert gelegt wird. Das bezieht sich auf die Bauweise, die Baumaterialien, aber auch auf die Mobilitätsangebote, die Versorgung mit Lebensmitteln etc.. Auch die Finanzierung der Projekte erfolgt oft in anderen, solidarischeren Formen und mit der Unterstützung von Bankinstituten, für die Nachhaltigkeit nicht nur eine leere Worthülse ist.
Als 2014 ein Baugruppen-Projekt den von der ÖGUT betreuten Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit gewann, war es schließlich auch um mich geschehen: Baugruppen-Häuser sind nicht nur öko, partizipativ und sonst wie super, sie können auch sehr schön sein! Seit Anfang 2015 bin ich nun selber in einer Baugruppe engagiert, und für mich steht – wie könnte es als Partizipationista anders sein! – vor allem eines im Vordergrund: die Beteiligung. Gemeinsam zu bauen und zu wohnen bedeutet (zumindest in den „klassischen“ Baugruppen-Projekten) Mitsprache, Mitgestaltung und Mitverantwortung – und zwar „vom Städtebau bis zur Steckdose“, wie der Gewinner des Staatspreises, Architekt Markus Zilker vom Büro einszueins, betont. Das ist auf der individuellen Ebene befriedigend, weil es einem als BewohnerIn weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten gibt: über die eigene Wohnung hinaus in das gemeinschaftlich entwickelte und betriebene Haus bis hinein in das unmittelbare städtische Umfeld durch die Kooperationen, die häufig in der Erdgeschoßzone (aber auch drüber hinaus) mit Unternehmen und Organisationen entwickelt werden.
Auf gesellschaftlicher Ebene betrachtet sind Baugruppen eine demokratischere Form der Immobilienentwicklung. Es geht nicht darum, aus einem Bauprojekt die höchstmögliche Rendite bei geringstmöglichen Kosten herauszuholen. Es geht darum, qualitativ hochwertigen, selbstbestimmten, leistbaren Wohnraum zu schaffen. Und zusätzlich „passiert“ etwas, das weit über das Wohnen hinausgeht. Baugruppen müssen sich und die anfallende Arbeit sehr gut organisieren, um den Herausforderungen des Planens, Bauens und Betreibens eines Hauses gewachsen zu sein. Nicht umsonst übernehmen diese Funktionen üblicherweise eine Vielzahl von DienstleisterInnen. Viele Gruppen greifen – zumindest zu Beginn – auf die Unterstützung von professionellen ProzessbegleiterInnen zurück und wählen Strukturierungs- und Moderationsmethoden wie beispielsweise die Soziokratie zur Unterstützung der Baugruppen-Arbeit. Dabei geht es darum, Regeln und Abläufe für die Beteiligung festzulegen, z.B. wer entscheidet worüber, wie viele Entscheidungsbefugnisse haben die einzelnen Gremien, welche Konfliktlösungsmechanismen werden angewandt, wo enden die Mitbestimmungsmöglichkeiten etc.. Und immer wieder geht es dabei um die zentralen Qualitätskriterien für gelingende Beteiligung: um gleichberechtigte Information aller, um Transparenz bei Entscheidungen, um klare Handlungsspielräume und um das Commitment der Beteiligten.
Mit all diesen Themen habe ich mich in der ÖGUT schon beschäftigt – z.B. als Prozessbegleiterin in unterschiedlichsten Projekten oder im Rahmen der Strategiegruppe Partizipation, deren Mitglied ich mehr als zehn Jahre lang war. Viel der Nachdenkarbeit zu diesen Themen findet sich im Handbuch Partizipation und in den Arbeitsblättern der Strategiegruppe. Nun erfahre ich es aber – im wahrsten Sinn des Wortes – ganz hautnah. Schließlich ist die eigene Wohnung so etwas wie die zweite Haut, quasi unser halböffentliches Selbst, oder?
Mir ist klar: Baugruppen sind kein Mainstream-Programm. Das Neubauvolumen der kommenden Jahre wird sicherlich nicht von selbstbestimmten Wohnprojekten dominiert werden. Nicht alle können und wollen viel Arbeit und Zeit investieren, um sich selbst Wohnraum zu schaffen. Und nein, Baugruppen-Wohnungen sind trotz der hohen Eigenleistung nicht automatisch „günstig“. Obwohl viele Baugruppen bereits Regelungsmechanismen entwickelt haben, die auch Menschen, die aktuell mit weniger zeitlichen und finanziellen Ressourcen ausgestattet sind, die Beteiligung ermöglichen. Trotzdem aber würde ich gerne von Baugruppen-Mainstreaming sprechen. Denn darum geht es: dass neue, partizipativere Formen des Bauens und Wohnens in den Mainstream kommen und nicht „spinnerte Ideen von ein paar basisdemokratischen Ökos“ (© der Nachbar meiner Eltern) bleiben. Weil dort auf einer Mikroebene ausprobiert und verstärkt werden kann, was wir auf der Makroebene, was unsere Gesellschaft so dringend braucht: Engagement, Selbstwirksamkeit und Verantwortung für die nachfolgenden Generationen.
Wendländer sagte:
Ich denke auch, dass die Zukunft der Baugruppe gehört. Gerade auch wegen der demokratischen Immobilienentwicklung, die immer größer werden wird.