von Martina Handler

Angesichts der zunehmenden Polarisierung in Politik und Gesellschaft in Bezug auf das Thema Flüchtlingsaufnahme und Zuwanderung, erscheint das Miteinander-ins-Gespräch kommen notwendiger denn je. Auf allen Ebenen, aber insbesondere in den Städten und Gemeinden, im konkreten Nachbarschaftskontext. Gespräche in konstruktiver Atmosphäre über die brennenden Fragen: Wie können wir (alle) in guter Nachbarschaft leben? Was brauche ich, um mich wohl und sicher zu fühlen? Welche konkreten Befürchtungen stehen im Raum? Wie können wir Sorgen und Ängste nehmen?

Diejenigen, die in den Kommunen an der Spitze stehen, die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, sind in dieser Zeit ganz besonders gefordert. Sie sind von vielen Seiten harscher Kritik und vehementen Forderungen ausgesetzt: Da sind die einen, die durch das Schüren von Ängsten vor dem Islam und den mehrheitlich muslimischen Flüchtlingen politisches Kleingeld schlagen wollen, und gefährlich mit dem Feuer der politischen Polarisierung spielen. Da sind jene, die verunsichert sind: Können wir uns die Zuwanderung leisten? Wie wird sich Österreich, wie wird sich meine Gemeinde dadurch verändern? Da sind auch jene, die sich empören über die Unkultur der politischen Debatte und von den Politikerinnen und Politikern fordern, sich klar und deutlich gegen den sich radikalisierenden Diskurs in der Öffentlichkeit zu positionieren. So mancher Bürgermeister entscheidet sich angesichts dieser konfliktträchtigen Situation, sich besser nicht zu klar zum Thema zu positionieren und sich auch nicht in den Vordergrund zu drängen, wenn es um die Schaffung von Asylquartieren in ihrer Gemeinde geht.

Baumeister/innen der Solidarität

Im Juli und August 2015, als die Zahlen der in Österreich ankommenden Flüchtlinge stark anstiegen, wurde die Aufgabe, in den Gemeinden Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen wie eine heiße Kartoffel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden hin- und hergeschoben. Die Erstaufnahmelager, insbesondere das im niederösterreichischen Traiskirchen, waren katastrophal überbelegt und immer mehr Flüchtlinge mussten in Zelten oder gar im Freien übernachten. Dringender Handlungsbedarf war offensichtlich, aber die Politik schien sich in Schuldzuweisungen zu ergehen und nicht – oder nicht rasch genug – in eine konstruktive Richtung zu kommen.

Franz Fischler, ehemaliger österreichischer EU-Agrarkommissar und seit 2005 Präsident des Europäischen Forum Alpbach (EFA) griff Mitte August 2015, zu Beginn des alljährlichen zweiwöchigen Gesprächs- und Veranstaltungsreigens im kleinen Dorf Alpbach in den Tiroler Bergen, das brisante Thema Flüchtlingsaufnahme und Asylquartierskrise spontan auf. Sein Credo: Jeder müsse an seinem Platz das ihm Mögliche tun, um Lösungen für anstehende Probleme zu ermöglichen. Das Europäische Forum Alpbach kann – so Fischler – seine Aufgabe in der Weise wahrnehmen, den BürgermeisterInnen einen Raum zu eröffnen. Einen Raum für Dialog, um gemeinsam an erfolgversprechenden Strategien und Vorgehensweisen zu arbeiten, wie die Herausforderung in den Kommunen zu bewältigen sei. Die Gemeindeobersten hätten die wichtige Aufgabe als »Baumeister/innen der Solidarität« zu wirken und sollten in der Dialog- und Vernetzungsveranstaltung Stärkung und Unterstützung dafür bekommen.

Austausch, Vernetzung und Ermutigung

Für die Umsetzung der Idee eines Bürgermeistertreffens ersuchten Franz Fischler und Philippe Narval, der Geschäftsführer des EFA, Christian Hörl und mich, die wir auch im Hosting-Teams der Alpbacher »Summer School on Facilitation and Participatory Leadership« (1) waren, ein geeignetes partizipatives Veranstaltungssetting zu entwickeln. Das Event sollte noch im Rahmen des EFA 2015 stattfinden und wurde für den 4. September 2015 terminisiert, d.h. es waren für die Vorbereitung genau zwei Wochen zur Verfügung – eine herausfordernde, aber höchst sinnreiche Aufgabe. Wir komplettierten das Hosting-Team mit Joachim Schwendenwein und wurden unterstützt von einem rund 20-köpfigen Co-Host- und Orga-Team.

Die Einladung erging an die politische wie auch an die administrative kommunale Spitze, also die BürgermeisterInnen und die Amtsleiter/in aller Gemeinden Österreichs. Der knappe Einladungszeitraum von weniger als zwei Wochen machte es spannend, ob auch genügend BürgermeisterInnen den für viele weiten Weg nach Alpbach finden würden. Schließlich kamen 140 TeilnehmerInnen aus ganz Österreich, davon über 100 Bürgermeister/innen in den Turnsaal der Hauptschule von Alpbach, dem größten Veranstaltungsraum in Alpbach. In einem sehr interaktiven Setting teilten die BürgermeisterInnen von 17 beispielgebenden Gemeinden ihre Geschichte der erfolgreichen Aufnahme und Integration von geflüchteten Menschen. Viel Zeit wurde auch dem Erfahrungsaustausch mit AmtskollegInnen gewidmet. Außerdem standen ExpertInnen als Auskunftspersonen zur Verfügung. Die Resonanz war überaus positiv: So etwas müsste es regelmäßig geben! Das Endergebnis: ein 60-seitiges »Offenes Handbuch für Gemeinden«, das allen Gemeinden Österreichs zugeschickt wurde.

Wie können neue Quartiere geschaffen werden?

Aufgrund der positiven Rückmeldungen wurden im Januar vom Europäischen Forum in Kooperation mit dem Österreichischen Gemeindebund und dem Büro des österreichischen Flüchtlingskoordinators Christian Konrad weitere drei Bürgermeistertreffen durchgeführt. Es wurden die drei Standorte – im Osten (Wieselburg, für BürgermeisterInnen aus NÖ, OÖ und nördl. Bgld.), Westen (Zirl, für Tirol, Vorarlberg und Salzburg) und Süden (Markt Hartmannsdorf für südl. Bgld, Steiermark und Kärnten) Österreichs – für die Veranstaltungen so gewählt, dass sie für die anreisenden BürgermeisterInnen gut erreichbar waren. Für die drei Veranstaltungen – im Wesentlichen im gleichen erfolgreichen Setting durchgeführt – wurden die Themen jeweils regional angepasst und neue Modelle, Asylquartiere zu schaffen, vorgestellt: Etwa Modelle des kostengünstigen und energieeffizienten Neubaus in Holzriegelbauweise oder das Projekt Transfer Vorarlberg, wo in den Gemeinden Einheimische mit Flüchtlingen gemeinsam auf Gemeinde- oder Pfarrgrund Neubauten aus Holz für gemischte Nutzung errichten.

Derzeit werden die Ergebnisse der Januar-Veranstaltungen in das „Offene Handbuch für Gemeinden“ eingearbeitet, das ab Anfang Mai für alle Interessierte auf der Website (www.partizipation.at) verfügbar sein wird.